Vorstellungsrede als Direktkandidat 2025

für den Bundestagswahlkreis 67

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Mitstreitende, liebe Gäste,

alle Kunst ist politisch! Alle Kunst ist widerständig. „Mithassen nicht, Mitlieben ist mein Daseinszweck.“ sagt Antigone. Ihre Worte sind 2500 Jahre alt und Ausdruck des Widerstands gegen ein ihr widerfahrendes Unrecht. Und ich kann sie gar nicht laut genug rufen. Das Getöse auf dieser Welt ist mittlerweile so unerträglich laut geworden, dass man die heiser gewordene Stimme der schreienden Ungerechtigkeit kaum noch vernehmen kann.

 Ich bin 1983 in Osterburg geboren und in Berlin aufgewachsen. Ich habe das unendliche Privileg gehabt, nach dem Abitur ein Studium der Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zu absolvieren. Es war die schrecklichste und es war die schönste Zeit meines Lebens. Schrecklich, weil ich einfach viel zu jung war und schön, weil ich daran wachsen konnte. Mein politisches Verständnis hat sich in dieser Zeit entwickelt. Mit Bertolt Brecht die Welt als veränderbar wahrnehmen; Erkennen und das Verständnis entwickeln, dass das Leben Veränderung und nicht Zustand ist. Und: Dass die Situation die Negation der Figur ist, der Konflikt der Motor der Handlung ist. Ohne Widerstand keinen Wandel - im Theater habe ich den Konflikt also durchaus als produktiv und nicht nur als destruktiv wahrnehmen können. Durch die Kunst Welt zu erfahren und in ihr zu arbeiten, war ein Privileg. Auch, weil die Kunst und die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, es mir ermöglichten, die raue Wirklichkeit künstlerisch zu kanalisieren und somit einen Umgang mit ihr zu finden. Kunst ist für mich Ausdruck eines gesellschaftlichen Mangels, deshalb ist sie für mich politisch. Als ich mich 2021 an dieser Stelle schon einmal als Direktkandidat für unsere Partei aufstellen ließ, schrieb mir eine berühmte ehemalige Kollegin eine Nachricht, in welcher sie ihre Bewunderung zum Ausdruck brachte, dass ich mich mit meiner Kandidatur nun in die raue Wirklichkeit hinaus wage. Mir wurde erst in den letzten Jahren, nachdem ich mich vom Theater zurückgezogen hatte, wirklich bewusst, was es heißt, Kunst nicht mehr beruflich zu machen. Dieser Ausgleich fehlt mir, wenngleich ich schon früh wusste - nämlich als ich in meiner ersten beruflichen Station am Staatstheater Mainz gegen angekündigte Kürzungsmaßnahmen protestierte -, dass ich vor allen Dingen, Kulturräume ermöglichen wollte. Damit meine ich, eine bundesweit geschützte und auskömmlich finanzierte Kulturlandschaft. So fand ich seinerzeit schließlich den Weg zu euch. 

Nun kommt die Bundestagswahl früher und wirft alles über den Haufen. Schnell wählen, heißt meistens sicher und strategisch wählen. Damit ist die Hypothek, mit der wir in diesen Wahlkampf gehen, immens gewachsen. Denn wenn wir auch die Menschen mit unserem Programm grundsätzlich erreichen können, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie die SPD wählen, um sie gegenüber der CDU für eine mögliche Koalition zu stärken. In solchen Momenten wirkt es fast, als seien wir der Schönheitsfleck der kapitalistischen Ordnung, den man sich je nach Bedarf aufkleben und wieder abknippeln kann. Solidarität gilt nur so lange, wie sie zur Aufrechterhaltung der kapitalistisch herrschenden Ordnung benötigt wird, als Anschein; wird sie zu teuer bzw. müssten die Verhältnisse geändert werden, um das Gemeinwesen aufrechtzuerhalten - was sie müssten, angesichts anhaltender Umverteilung von unten nach oben: Dann Adé Solidarité und Angriff auf den Sozialstaat. Oder wie heißt es in „Morgen werde ich Idiot“ dem wunderbaren Essay von Hans-Christian Dany: „Ausschreitungen der Wut spielen dem postdemokratischen Theater die Pointen in die Hände. Seine Dramaturgie hat gelernt, die Kritik und alle Formen des Dagegen in ihre Ordnung einzubeziehen.“ Das perfide ist, das kapitalistische System ist anpassungsfähig, seine Immunantwort auf linke Störfeuer mit Blick auf die soziale Trägheit der gesamten Gesellschaft ist sehr viel schneller. Aber wir sind nicht das soziale Gewissen kapitalistischer Umtriebe. 

Nun wählen wir früher, weil die Sozialdemokratie versagt hat und das mitten in einer Kaskade globaler sich gegenseitig bedingender Erschütterungen; erodierende Mächte, Kriege, aufkommender Rechtsextremismus, Nationalismus und Klimakatastrophen. Wir stehen wirklich an einem Wendepunkt. Während der mit Antisemitismus sympathisierende Automobilpionier Henry Ford der Gegenwart, ich meine Elon Musk, die Welt zum Narrenhaus erklärt und für gegen Meinungsfreiheit gegen irgendwas und wen vorgeht und Bürgerkriege ausruft, ruft der eine Narr „Make America great again!“, der andere ruft ihm nach „Make Europe great again!“ und der dritte „Magdeburg zuerst!“ Ich sage nur: der Grat zwischen Grandiosität und Größenwahn ist nicht breiter als ein Atom - und das ist die größte Gefahr. Indes bleibt der Noch-Kanzler sich treu und ruft besonnen die Fünfte Jahreszeit erst am 13. November aus. Der Kanzler in spe erwartet derweil von der Jugend, die ihn wählen wollen soll, dass sie nicht murrt, wenn es heißt: Ran an die Waffen! Denn jeder von ihnen hätte schließlich im von der ihnen bis dato einzigen bekannten Kanzlerin geschaffenem Schlaraffenland mit all seinen gut ausgestatteten Schulen die gleichen und vor allen Dingen die besten Chancen. Das Schauspiel ist komplett. Es war eine Komödie, keiner stirbt. Der Vorhang fällt. Niemand lacht, außer die Alternative zur Demokratie. 

Die bittere Befürchtung ist: Geht es zügellos so weiter, dann benötigt der Kapitalismus die demokratische Grundordnung nicht mehr. Dann heißt es Deregulierung statt Kooperation. Der Markt ist entfesselt. Der Markt regelt das. Wer meinte, dass die Geschichte mit dem Zusammenbruch der UdSSR zu Ende gewesen sei, irrte nicht nur mit Blick auf den 11. September 2001, sondern mit Blick auf die vor uns stehenden Krisen. Wir schlagen gerade ein neues Kapitel auf. Die globale Krise trifft auf eine wirklich desolate Lage in unserem Land. Ich komme mittlerweile zu der Auffassung, dass wir ein Stadium der Simulation erreicht haben, in welchem wir Politik, Staat und Gemeinwesen nur noch als ein Als-ob realisieren. Wir heben die Pflegebeitragssätze an, aber die Beitragsbemessungsgrenze bleibt. VW Mitarbeiter sollen auf Teile ihres Lohns verzichten, aber die Gehälter der Dax-Vorstandsetagen fallen so üppig aus wie noch nie. Die Rente kann gesichert werden, aber am besten nur, wenn sie am Kapitalmarkt angelegt wird - vom Härtefallfonds ganz zu schweigen. Der Schwangerschaftsabbruch bleibt straffrei und Teil des Strafgesetzbuchs. Man müsse den Menschen mehr zuhören. Aber es hört keiner zu. Man wolle die AfD klein halten und inhaltlich stellen; sie wird stärker und man stimmt ihren Anträgen zu. Die Menschen spüren doch diesen Riss in der Matrix. Das Unbehagen in der Gesellschaft nimmt zu. 

Gleichzeitig werden Wählerinnen und Wähler zu Kunden erhoben. Politik als Dienstleistung in der Servicewüste Deutschland. Die Politik muss sich optimieren, sie muss attraktiver werden, sie muss kommunikativer werden, sie muss zuhören. Marktstudien werden durchgeführt, Nutzerverhalten analysiert und Strategien angepasst, um den Verbraucher noch bessere Angebote zu unterbreiten. Parteien brauchen Markenkerne mit Wiedererkennungseffekt, ein geschärftes Profil, um neue Märkte erobern zu können. Sinnvoll angelegt Investitionen der Steuerzahler in die simulierte Geschäftigkeit der Politik. Genosse Gallert hat es mal schön auf den Punkt gebracht mit Blick auf das in Aussicht stehende Zukunftszentrum in Halle (Saale), für das Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 200 Millionen € im Bundeshaushaltsplan veranschlagt wurden, an welchem dann Forschung zu betrieben werden solle, gleichwohl den Universitäten, deren ureigenste Aufgabe Forschung ist, die Mittel fehlen. Und was ist der Wähler, der Kunde, der Kunde ist König. L’état c’est moi! - Der Staat bin Ich! Und man nimmt es an; Beschwerden sind zu richten an die Abteilungen, AfD und BSW. Nein! Diese schleichende Engführung hin zu einem egoistischen Zeitalter gehört in die Geschichtsbücher verbannt. Vielmehr muss es heißen: L’état c’est nous! Der Staat sind wir, liebe Genossinnen und Genossen! Geben wir den Menschen Mut, und zeigen ihnen, dass sich Engagement für die Gesellschaft lohnt, gegen den Hass, gegen die Wut; dass es Spaß macht, sich in den gemeinschaftlichen Diskurs einzubringen. Lasst uns Affirmation vor Negation stellen. 

Ich möchte keine Schuldigen mehr ausmachen müssen. Ich möchte, dass wir Freude für einander entwickeln, dass Verantwortung für den anderen zu übernehmen, keine Belastung ist, sondern Teil einer gemeinschaftlichen Verabredung. Die Grundannahme, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, muss sich doch in unsrem Selbstverständnis wiederfinden und gelebt werden. Aber das Gegenteil kommt auf uns zu. Alle, die in diesem Land oder in der Welt Hilfe benötigen, werden entweder ignoriert oder diskreditiert. Jetzt erst recht! - Dem müssen wir entschieden begegnen. Und nicht, weil wir gebraucht werden, sondern weil es unsere Grundüberzeugung ist. Das soziale Gewissen ist unser Anker. Wir sind der rote Keil im System. Haben wir die Chuzpe und stellen die Systemfrage. Wir werden sie nicht heute beantworten können, auch nicht morgen. Aber wir sind hervorgegangen aus der Partei des demokratischen Sozialismus. Wir tragen diesen Namen nicht mehr auf dem Papier, ich aber trage ihn im Herzen und das mit Stolz. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Herz und Verstand eine Sprache sprechen. Wenn sie sagen, das Soziale sei schwach. Dann ja! Genau darum geht es. Jemand benötigt Hilfe, dafür braucht es einen Zweiten und damit fängt das Soziale an! Manchmal muss man die Worte von der Last des Populistischen wieder befreien. Ich sage es einmal so: Hätte König Kreon im Moment seiner größten Stärke bei seiner Verurteilung der Antigone Schwäche gezeigt und wäre von seinem tyrannischen Starrsinn abgewichen, dann hätte es kein tragisches Ende gegeben und es wäre zum Momentum wahrer Stärke geworden. Aber es ist eine Tragödie und Tragödien kennen keine Kompromisse. Gut, dass sie nur auf der Bühne passieren. Nicht gut, dass in der rauen Wirklichkeit weiterhin wider besseren Wissens gehandelt wird. 

Liebe Genossinnen und Genossen! Es fühlt sich etwas merkwürdig an, weil man plötzlich in den Wahlkampf geht und Entscheidungen schnell getroffen werden müssen; ich bin ein Bauchmensch und kann nur hoffen, dass mich meine Intuition nicht verlässt. Was definitiv zu kurz kommen wird, ist eine Strategie für den ländlichen Raum und zum Wahlkampf in Flächenwahlkreisen. Der Schwerpunkt „Bezahlbare Mieten“ wird zumindest in meinem Landkreis keine übergeordnete Rolle spielen. Ich kann es nicht bspw. für Bernburg sagen. Aber ich habe mein halbes Leben in Berlin verbracht und auch in Köln gelebt - dort ist das ein existenzielles Problem, für das der Sozialstaat bisher keine praktikablen Lösungen gefunden hat. Somit könnte das ziehen - gleichwohl war es auch 2021 bereits Thema. Wir werden bei dieser Wahl in der Tat von den Voten in den großen Städten abhängig sein. Aber liebe Genossinnen und Genossen, jetzt erst recht. Neben Kulturpolitischen Themen, möchte ich mich insbesondere den Belangen junger Familien in unserem Wahlkreis zuwenden. Jene jungen Familien, die mit dem, was um uns geschieht, zurechtkommen müssen. Sie zu motivieren, Mut zu fassen und für ihre Rechte einzustehen, soll mein Auftrag sein. Die Liste ist lang. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten und lasst uns gerne über Möglichkeiten diskutieren, wie wir den ländlichen Raum wieder gewinnen können. 

Ich selbst lebe noch immer im kleinen Wenddorf zwischen Angern und Tangerhütte. Ich bin noch immer glücklich verheiratet. Unseren Tieren, ein Malamute und mittlerweile vier Katzen, gehört meine Liebe. Ich bin am liebsten im Garten, im Wald, auf dem Feld unterwegs. Meine berufliche Laufbahn führe ich seit nunmehr drei Jahren in der Verwaltung des Landtags von Sachsen-Anhalt fort. Der parlamentarische Betrieb ist mir also durchaus bekannt. Ich habe mit Blick auf meine Arbeit dort, absolute Neutralität zu wahren, weshalb ich mich zu Sachsen-Anhaltischen Belangen nur beziehe, sofern sie keine Bezüge zum Landtag aufweisen. Ich bin stellvertretender Kreisvorsitzender des Kreisverbandes Börde, bin neulich zum stellvertretenden Vorsitzenden des Landesausschusses gewählt worden und bin mit der Friedens-BI-Offene Heide assoziiert und darf nun schon das dritte Jahr in Folge den Aufruf zum Ostermarsch verfassen. 

Herzlichen Dank.

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